Perspektiven für Unternehmensanleihen
Die Covid-19-Pandemie hat zu konjunkturellen und strukturellen Verwerfungen geführt, deren Auswirkungen auf die Weltwirtschaft noch einige Jahre lang zu spüren sein werden. Und trotzdem blieb der Spread von als „Investment Grade“ (IG) eingestuften Unternehmensanleihen [1], d. h. ihr Renditedifferenzial zu sogenannten „risikofreien“ Staatsanleihen, gegenüber seinem Vorkrisenniveau unverändert. Dies ist insofern ein Paradox, als die aktuelle Wirtschaftskrise die Ertragssituation und Bilanzen der Unternehmen grundlegend verändert hat; viele Unternehmen stehen vor bisher nicht gekannten Herausforderungen.
Ein Blick zurück auf das Jahr 2020
Auf dem Höhepunkt der Pandemie lagen die Renditedifferenziale von Unternehmensanleihen im Durchschnitt dreimal so hoch wie üblich. Ende Dezember waren diese Differenziale wieder niedriger als zum Jahresbeginn (mit Ausnahme von Immobilienanleihen). Dank der massiven Kapitalzuführungen der Notenbanken konnten sich Unternehmen kurz- und mittelfristig zu historisch niedrigen Zinsen finanzieren. Derzeit haben über 25 % der IG-Unternehmensanleihen in Euro eine negative Rendite.
Bei drei- bis fünfjährigen IG-Unternehmensanleihen in Euro betrug die Performance 2020 mehr als 1,3 %, bei Papieren mit einer durchschnittlichen Laufzeit von acht Jahren 2,5 %.
Hinter diesen positiven Zahlen verbirgt sich jedoch eine andere Realität: Innerhalb dieses Segments hat sich die Renditeschere so weit geöffnet wie selten zuvor. Um den Zinssatz eines Emittenten einzuordnen, müssen daher unbedingt die Anleihequalität und die jeweilige Branche mitberücksichtigt werden.
Neuemissionen großer IG-Unternehmen entwickelten sich trotz schwacher Unternehmensgewinne und steigender Verschuldung gut, da sich die Unternehmen zum Jahresende zu extrem günstigen (teilweise sogar negativen) Zinssätzen finanzieren konnten. Hinter dieser paradoxen Entwicklung steht zum einen die Politik der Notenbanken, die mit extrem niedrigen Leitzinsen und dem Aufkauf insbesondere von Unternehmensanleihen den Markt stützten; zum anderen stellen die neu zugelassenen Covid-19-Impfstoffe den Anlegern mittelfristig ein Licht am Ende des Tunnels in Aussicht. Anleger, die Rendite suchen, haben sich vielfach damit abgefunden, dass sie ein höheres Risiko eingehen müssen, um zumindest eine weniger negative Rendite zu erzielen als sie bei risikolosen Staatsanleihen (mit ihren weiter sinkenden Renditen) zu haben ist. Diese Faktoren tragen dazu bei, dass alle Anlageklassen teurer werden, die Inflation auf den Finanzmärkten also steigt.
Der überbordende Optimismus der Märkte muss jedoch relativiert werden. Für viele Marktteilnehmer bleibt die Zukunft ungewiss. Die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Schäden durch die Pandemie werden noch lange zu spüren sein. So wird die Verschuldung dazu führen, dass Unternehmen ihr Finanzmanagement straffen müssen, vor allem um Verschuldung abzubauen, während ausfallende Investitionen das künftige Wachstumspotenzial bremsen. Zu den am stärksten von der Krise getroffenen Unternehmen gehören kleine und mittlere Unternehmen, für die der Zugang zu Finanzierungen schwieriger ist, aber auch Betriebe, die vom physischen Kontakt zu ihren Kunden leben. Große Unternehmen hingegen, die häufig als „too big to fail“ gelten, erfuhren in vielen Fällen Unterstützung durch staatliche Hilfspakete oder Maßnahmen der Notenbanken. Dies könnte jedoch dazu führen, dass Unternehmen, die öffentliche Gelder erhalten haben, stärker zur Erfüllung gesellschaftlicher Aufgaben in die Pflicht genommen werden und ihre Finanzen einer strikteren Aufsicht unterworfen werden.
Ausblick
Die Rendite von Unternehmensanleihen hängt wesentlich von zwei Faktoren ab: dem risikolosen Zinssatz in der Emissionswährung und dem jeweiligen Risikoaufschlag. Das folgende Diagramm veranschaulicht, welche Faktoren die Rendite von Unternehmensanleihen und damit ihre Bewertung beeinflussen. Logischerweise gilt: Je geringer die Risikoprämie, desto stärker hängt der Wert der Unternehmensanleihe von den Bewegungen der Renditen für Staatsanleihen ab – und umgekehrt.
Einflussfaktoren auf die Gesamtrendite von Unternehmensanleihen
Quelle: BLI
Das Renditeniveau von Staatsanleihen wird wesentlich durch makroökonomische Faktoren bestimmt, die wiederum vor allem durch öffentliche Institutionen wie Notenbanken und Regierungen vorgegeben werden. Der wichtigste Indikator ist dabei die Inflation. Sie gilt vielen Notenbanken (auch der Federal Reserve und der Europäischen Zentralbank), deren Aufgabe ja die Sicherung der Preisstabilität ist, als Schlüsselindikator. Die Leitzinsen und die makroökonomischen Prognosen der Zentralbanken beeinflussen also die Inflationserwartungen; diese wiederum bestimmen das Renditeniveau der Staatsanleihen – und folglich auch das von Unternehmensanleihen.
Angesichts der zentralen Rolle, die Regierungen und Notenbanken bisher beim Management der Krise gespielt haben, ist es sehr wahrscheinlich, dass sie ihre expansive Geld- und Fiskalpolitik fortsetzen werden, um der Wirtschaft wieder auf die Beine zu verhelfen.
Die Unterstützung der Notenbanken, d. h. der massive Aufkauf von Unternehmensanleihen und die extrem niedrigen Leitzinsen, wird zwei Auswirkungen haben: Zum einen wird sie die Inflationserwartungen nach oben treiben, zum anderen bewirkt sie, dass die nominalen Renditen von Staatsanleihen über die gesamte Renditekurve unter Druck geraten.
Dieser Druck wirkt auf die realen (d. h. inflationsbereinigten) Renditen und bestimmt die Renditen von Staatsanleihen für die verschiedenen Laufzeiten. Angesichts des Ausmaßes der Wirtschaftskrise ist für 2021 kaum zu erwarten, dass die Renditen am kurzen Ende deutlich steigen werden. Sollte die Konjunktur jedoch im Jahresverlauf an Fahrt aufnehmen, könnten die mittel- und langfristigen Zinsen steigen. Dabei muss jedoch differenziert werden zwischen den USA und der Europäischen Union sowie zwischen Schwellenländern und Industriestaaten. Für die USA wird ein höherer Preisauftrieb erwartet als für Europa, da dort die Konjunkturerholung schneller verläuft als in Europa, und eine Straffung der Geldpolitik daher wahrscheinlicher ist. Gleiches gilt für die Schwellenländer: Dort sind die Inflationserwartungen höher, weil hier auch die Wachstumsprognosen höher sind als für die Industriestaaten.
In den Industriestaaten, insbesondere in der Europäischen Union, hat es die Geldpolitik der vergangenen Jahre – trotz des umfangreichen Arsenals an Instrumenten der EZB – nicht geschafft, die Inflation auf etwa 2 % zu steigern (vgl. Grafik). Derzeit steckt man in einer Liquiditätsfalle, d. h. die Zinssätze sind extrem niedrig und der Konsum trotzdem schwach. Damit die Renditen von Staatsanleihen nachhaltig steigen, muss also abgewartet werden, ob die Wirtschaft nach der Krise und den expansiven geld- und fiskalpolitischen Maßnahmen wieder nachhaltig Fahrt aufnimmt.
Quelle: Bloomberg
Das Renditedifferenzial, d. h. der Risikoaufschlag auf Unternehmensanleihen, ist bei hochwertigen Emittenten derzeit sehr niedrig. Daher ist es unwahrscheinlich, dass die Differenziale noch weiter fallen werden.
Die Renditen sogenannter High-Yield-Anleihen [2] könnten allerdings unter ihr Vor-Krisen-Niveau sinken. Was dabei noch wichtiger ist: Die risikoreicheren Anleihen sind weniger sensibel für Veränderungen des risikofreien Zinses, da ihre Renditen vor allem durch die Risikoprämie bestimmt wird. Im Hochzinssegment muss man jedoch besonders auf die Qualität und die Entwicklung der Fundamentaldaten des jeweiligen Unternehmens achten, da das Papier gegebenenfalls ein höheres Ausfallrisiko besitzt.
Angesichts historisch niedriger Renditen bei risikoarmen Anleihen ist es schwierig geworden, Unternehmensanleihen zu finden, die ein geringes Risiko und gleichzeitig eine positive Rendite bieten. Zudem ist bei langlaufenden Anleihen, die eine attraktivere Rendite bieten, das Risiko eines Renditeanstiegs höher. Für Anleger bedeuten steigende Zinsen sinkende Kurse ihrer Anleihen. Umgekehrt bieten Anleihen mit einem Rating von unter BBB+/Baa1 wie auch Schwellenländer-Anleihen noch attraktive Renditen, verbunden mit dem Potenzial eines sinkenden Renditedifferenzials und einer geringeren Sensibilität für Veränderungen des risikofreien Zinses.
Fazit
Aus den beschriebenen Gründen ist ein Anstieg der langfristigen Renditen von Staatsanleihen und eine Verringerung des Renditedifferenzials für risikoreichere Unternehmensanleihen möglich. Diese Annahme geht davon aus, dass ein Weg aus der Krise gefunden wird und die Wirtschaft wieder an Fahrt aufnimmt – zwei Faktoren, die gleichermaßen vom weiteren Verlauf der Pandemie abhängen.
Trotz des historisch niedrigen Zinsniveaus sind Unternehmensanleihen nicht unattraktiv. Hierbei spielt vor allem ihr (verglichen mit Aktien) weniger volatiler Charakter eine Rolle. Solide BBB- oder High-Yield-Anleihen mit robusten operativen Kennzahlen können ein diversifiziertes Portfolio mit stabiler Rendite bereichern und helfen, das Zinsänderungsrisiko von Anleihen hochwertiger Emittenten zu senken. Wird eine Anleihe bis zu ihrer Fälligkeit gehalten, bleibt die Rendite zumeist vorhersehbar und trägt dazu bei, einen regelmäßigen Cashflow sicherzustellen. Mit Blick auf nachhaltiges und verantwortliches Management schließlich stellt eine Anleihe ein effizientes Instrument dar, um Mittel in Projekte mit messbarem Impact zu lenken.
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[1] Emittenten mit „Investment Grade” (IG) werden von einer der drei großen Rating-Agenturen mit einer Bonität von mindestens BBB-/Baa3 bewertet.
[2] Emittenten, die von den drei Rating-Agenturen mit einer Bonität von unter BBB-/Baa3 bewertet werden.