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Passiv spekulieren, unreflektiert investieren

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Seit seinen Anfängen vor über 40 Jahren erlebt das sogenannte „Passive Management“ (sofern man hierbei überhaupt von Management sprechen kann...) einen starken Aufschwung: Die verwalteten Vermögen steigen und mit ihnen die Zahl der angebotenen Produkte – zurzeit mehr denn je. Leben wir im Zeitalter der einfachen Gewinne?

Weniger arbeiten, um mehr zu verdienen

„Passive Fonds“ zeichnen sich dadurch aus, dass sie die Wertentwicklung verschiedener Börsenindizes (abzüglich ihrer Kosten) abbilden. Das können Indexfonds sein, ETFs (Exchange-traded funds) oder andere Fonds, die allem Anschein nach aktiv gemanagt sind, tatsächlich aber ebenfalls an Indizes gekoppelt sind.

Die Zahl dieser Produkte steigt weltweit, ebenso die verwalteten Vermögen (derzeit sind es mehr als 14 000 000 000 000 Euro!). Aktives Management scheint dagegen immer mehr ins Hintertreffen zu geraten.

Passive Anleger legen ihr Geld bzw. das Geld ihrer Kunden in passive Fonds an. Über deren Zusammensetzung wiederum entscheiden allein die Indexanbieter (MSCI, S&P, STOXX oder FTSE). Sie bestimmen, welche Länder oder Unternehmen in den passiven Fonds aufgenommen und wie sie gewichtet werden. Maßstab hierfür ist meist die Börsenkapitalisierung.

Anders gesagt: Die Anlageentscheidungen werden getroffen, ohne dass irgendjemand die Unternehmen in den Indizes (etwa 2.500 Unternehmen im bekannten MSCI All Country World Index) verfolgt, analysiert oder bewertet. Das Geld wird im wahrsten Sinne des Wortes blind „investiert“ – unter anderem auch in Unternehmen, die Wert vernichten, intransparente Bilanzen vorlegen, Waffen produzieren etc.

Erste Feststellung: Es gibt offenbar eine große Zahl von Menschen, die davon ausgehen, dass sich auch mit wenig Arbeit und Nachdenken eine zufriedenstellende Performance erzielen lässt.

Doch wären diese Menschen auch bereit, ein Haus zu kaufen, ohne es zuvor besichtigt zu haben bzw. ohne dass eine Person ihres Vertrauens dies tut? Warum verzichten sie also bei Aktienanlagen darauf?

 

Kumulierte Zuflüsse und Nettoausgabe von US einheimischen Aktienfonds und Index-ETFs (in Billionen US-Dollar, monatlich)

Quelle: Investment Company Institute

 

Das Paradoxon der Profiteure 

In der Theorie sind die Finanzmärkte nur dann effizient, wenn die Wertpapierpreise jederzeit alle verfügbaren öffentlichen und privaten Information widerspiegeln. Dazu müssen die Vermögenswerte liquide sein, der Zugang zu Informationen muss allen gleichermaßen offenstehen, die Transaktionskosten müssen gering sein und die Akteure müssen fortwährend rational agieren.

Passive Anleger glauben an die Effizienz der Märkte; sie gehen davon aus, dass die Ineffizienzen zwischen Fundamentaldaten und Bewertungen zu gering sind, als dass aktive Manager daraus Profit ziehen könnten. Indem sie in indexgebundene Produkte „investieren“, zeigen sie sich implizit einverstanden mit der Gewichtung der Aktien im Index, da diese ja die Summe aller Entscheidungen von aktiven Managern ist, die die Kurse auf Basis der Fundamentaldaten festlegen… Ja, sie haben richtig gelesen.

Howard Marks, Mitbegründer und Co-Chairman von Oaktree Capital, hat diesen Punkt in einem seiner berühmten Memos hervorgehoben.

 

Charles Ponzi im Land der sich selbst erfüllenden Prophezeiungen

In ihrer Suche nach Erträgen ist es die Strategie passiver Anleger, ihren Anlagenkorb zu einem höheren Preis an neue passive Anleger zu verkaufen, obwohl sie selbst keine Ahnung von seinem tatsächlichen Wert haben – dazu wäre ja eine detaillierte Analyse und Bewertung von hunderten, ja tausenden von Unternehmen notwendig...

Je höher der Anteil passiver Anlagen am Markt, desto weniger basiert der Aktienkurs auf einer Bewertung ihrer Fundamentaldaten und desto stärker hängt die Wertentwicklung für derzeitige passive Anleger von den Kapitalzuflüssen durch neue passive Anleger ab.

Es ergibt sich also ein beunruhigender Mix aus reiner Spekulation und sich selbst erfüllender Prophezeiungen, nicht unähnlich dem Ponzi-System...

 

David Copperfield hilft der Finanzwelt

Doch betrachten wir einmal die vermeintlichen Vorteile der, nach Ansicht ihrer Verfechter, quasi-magischen Indexprodukte: niedrige Kosten, Diversifizierung, Liquidität, Einfachheit und Vermeidung von enttäuschenden aktiven Fondsmanagern.

Niedrige Kosten. Auch wenn überzogene Kosten offensichtlich ein Feind der Performance sind, mutet es seltsam an, wenn sich Anleger krampfhaft auf die Kosten fixieren, anstatt sich auf das Produkt selbst zu konzentrieren. Es ist so, als kaufte man ein Ryanair-Flugticket und erwarte dann einen Flug mit First-Class-Service von Etihad Airways.

Der Preis zählt offenbar nur in Bezug auf die Kosten, nicht aber auf das Bewertungsniveau der Vermögenswerte, die das Produkt ausmachen. Das ist zumindest seltsam.

Diversifizierung. Ist diese angeblich bessere Diversifizierung wirklich sinnvoll, wenn sie darin besteht, dass zwar in eine größere Zahl an Unternehmen investiert wird, aber eben auch in bestimmten Fällen in eine größere Zahl an Unternehmen, die schlechter, überteuerter, untereinander korreliert oder schlichtweg nicht analysiert sind?

Liquidität. Bei Indexfonds erfolgen Ausgabe und Rücknahme von Anteilen, deren Preise auf dem Wert der zugrundeliegenden Aktien basieren, nur einmal täglich. ETFs werden ihrerseits wie Aktien gehandelt, ihre Preise basieren insbesondere auf dem guten Willen der Market Makers und „Authorized Participants“ (akkreditierte Vermittler für die Ausgabe und Rücknahme der Anteile), welche die Preisunterschiede zwischen einem ETF und den zugrundeliegenden Aktien ausgleichen sollen. Wie kann man also behaupten, diese Produkte seien liquider als die Aktien, aus denen sie bestehen?

Der „Flash crash“ vom 24. August 2015 ist hierfür ein gutes Beispiel: An diesem Tag verbuchte der S&P 500 im Tagesverlauf ein zeitweiliges Minus von bis zu 5,3 %. Der iShares Core S&P 500 ETF verlor am gleichen Tag zeitweise sogar bis zu 26,0 % - nichts für empfindliche Gemüter...

Und gerade bei solchen Panikreaktionen ist für Anleger Liquidität wichtig.

Einfachheit. Wer bei Aktienanlagen erfolgreich sein will (über Glückstreffer hinaus) benötigt Kenntnisse in verschiedenen Bereichen, muss unter anderem seine Emotionen beherrschen, Erfahrung haben, hart arbeiten und manches mehr. Und dennoch denken manche, diese Tätigkeit sei für jeden leicht beherrschbar.

Auch wenn es sich bei den Finanzmärkten nicht um „reine Wissenschaft“ handelt, bedeutet dies nicht, dass man hier nicht die Hilfe von Profis benötigen würde – so wie man es z. B. auch beim Kauf von Medikamenten oder der Reparatur des Autos tut.

Vermeidung von enttäuschenden aktiven Fondsmanagern. Dass ein großer Teil der Fondsmanager, die aktives Management betreiben, hinter den Indizes zurückbleiben, bedeutet das wirklich:

  • dass es nicht auch andere gibt, die die Indizes schlagen?
  • dass es auch künftig so sein muss, auch wenn es möglicherweise in der Vergangenheit so war?
  • dass alle Anleger ausschließlich auf die Performance blicken und bereit sind, das gesamte Schwankungsspektrum der Kurse und alle Marktbaissen voll mitzumachen?

Mit passiven Produkten ist man vielleicht sicher, dass man nie eine so schwache Performance einfährt wie vielleicht ein aktiver Manager. Genauso sicher kann man aber auch sein, dass man nie besser abschneiden wird als der Index – und dass man dessen Volatilität und Baissen in vollem Umfang mitnimmt.

 

Lemminge auf der Achterbahn

Gerade der letztgenannte Punkt kann unangenehme Überraschungen bringen: Die seit neun Jahren stark steigenden Aktienmärkte (und, nebenbei, ein S&P500, der im vergangenen Jahr an ganzen vier Tagen jeweils um mehr als 1 % nachgab) lassen manche Anleger vergessen, dass die Märkte auch fallen können. Der S&P 500 hat seit 1929 übrigens 25 Baissen (Verluste von 20 % oder mehr) durchlebt, d. h. im Schnitt eine alle dreieinhalb Jahre.

Angesichts der Asymmetrie der Verluste / Gewinne (und der naturgegebenen Risikoaversion der meisten Homo sapiens) ist es wichtiger, die Verluste in schwierigen Marktphasen zu begrenzen, als in vollem Umfang an Hausse-Euphorien teilhaben zu wollen (und es scheint illusorisch zu erwarten, dass ein Anlageprodukt beides gleichermaßen schafft...).

Was manche vergessen oder verbergen, ist die Tatsache, dass niemand in der Lage ist, die Umkehr von Markttrends vorauszusagen und dass passive Anlagen genauso in die Tiefe gerissen werden können, wie sie zuvor nach oben getrieben wurden. Manchmal ist der Absturz sogar noch größer (siehe Flash crash)... 

Das Ziel besteht nicht darin, die nächste Baisse an den Aktienmärkten vorhersagen zu wollen. Nichtsdestotrotz tendieren die Kurse von Vermögenswerten unerbittlich gegen ihren inneren Wert, und früher oder später wird jede Blase ihre entsprechende Nadel finden.

 

„Sympathy for the Devil” - The Rolling Stones

Ein Wort zu den systemischen Risiken - auch wenn das Interesse an ihnen in der Regel umgekehrt proportional zum Kursniveau an den Märkten ist.

Auf der einen Seite wird es angesichts der jüngsten regulatorischen Entwicklungen vielleicht bald verboten sein, das Wort „Fonds“ im Umkreis von 500 Metern eines potenziellen Kunden laut auszusprechen. Auf der anderen Seite scheinen die schnelle Ausbreitung von passiven Produkten und die Tatsache, dass schon jetzt etwa ein Viertel der weltweiten Vermögenswerte in den Händen passiver Manager sind, niemanden besonders zu beunruhigen.

Warum auch? Es ist ja nicht so, dass die meisten von ihnen im Falle einer Börsenpanik wie die Lemminge reagieren und alle gleichzeitig dieselben Wertpapiere verkaufen würden...

Und wie groß wäre der Einfluss auf die Liquiditätssituation insgesamt, wenn man bedenkt, dass ETF-Betreiber Aktien auch an Leerverkäufer leihen?

Und wenn man an die synthetischen ETFs denkt, die nicht einmal mehr die zugrundeliegenden Wertepapiere halten und nur noch auf „Swap Agreements“ basieren, die eine indexorientierte Performance liefern sollen: Was passiert im Falle eines Zahlungsausfalls einer Gegenpartei? Was, wenn die Volatilität steigt? Was, wenn es in engeren Märkten, wie die Emerging Markets oder die Rentenmärkte, zu einer Krise kommt?

Indem ETFs kurzfristige Spekulation und Überaktivität fördern, verschlimmern sie die Auswirkungen des Hochfrequenzhandels und anderer Parasiten des Marktes. Um dem Leser eine Vorstellung von den Ausmaßen zu geben: Das tägliche Handelsvolumen des ETF SPDR S&P 500 beträgt 16 Milliarden US-Dollar (die durchschnittliche Haltedauer gerade einmal 16 Tage). Zum Vergleich: Apple – immerhin die Aktie mit der größten Börsenkapitalisierung der Welt – hat ein tägliches Handelsvolumen von „nur“ vier Milliarden US-Dollar. Passives Management ist also gar nicht so passiv...

Übrigens sprechen die Äußerungen von Jack Bogle, dem berühmten Gründer sowie ehemaligen Chairman und CEO des Indexfonds-Giganten Vanguard, und Bill McNabb, dem aktuellen Chairman und CEO desselben Unternehmens, für sich:

Bill McNabb: „We share concerns that frequent trading, not just of ETFs but of any securities, will reduce returns for investors. But, reassuringly, Vanguard’s research, conducted with actual shareholder transaction data, shows that most ETFs are held in a prudent, buy-and-hold manner.”[1]

Jack Bogle: „As a result, the annualised turnover rates are different in magnitude: stock turnover, 120 per cent; ETF turnover, 880 per cent. The implications of this rapid trading — call it speculation — have yet to be fully examined.”[2]

 

Prozentualer Marktanteil des Gesamtnettovermögens von weltweit offenen Fonds

Quelle: EY

 

Big 5, Big 4, Big 3

Betrachten wir nun nicht die „Big 5“ der afrikanischen Säugetiere oder die „Big 4“ der englischen Premier League, sondern die „Big 3“ des Indexfonds-Oligopols: BlackRock, Vanguard und State Street. Werfen wir einen Blick auf ihren Einfluss, der in der Öffentlichkeit erstaunlicherweise ebenfalls kaum Beachtung findet.

Die „Big 3“ allein halten etwa drei Viertel aller weltweit passiv verwalteten Vermögenswerte und sind gröβter Aktionär in etwa 90 % der Unternehmen im S&P 500 und in insgesamt 1.660 börsennotierten US-Unternehmen, die alles in allem mehr als 23 Millionen Mitarbeiter beschäftigen.[3] Es ist schwer vorstellbar, dass sie nicht versuchen würden, ihre Position in irgendeiner Form auszunutzen...

Im Wall Street Journal wird Michelle Edkins, Global Head of Investment Stewardship von BlackRock, übrigens mit den Worten zitiert: „Meetings behind closed doors can go further than votes against management…”[4]

Die stetig wachsende Zahl der „Kunden“ dieser „passiven“ Investmentriesen verteilt ihr Kapital an die Unternehmen fast ausschließlich abhängig von ihrer Börsenkapitalisierung und ohne jegliches Interesse für ihre Fundamentaldaten. Die Auswirkungen könnten weitreichend sein: Prinzipien der Marktwirtschaft, Corporate Governance, langfristige Vision, Gesetz des Wettbewerbs, Forschung, Innovation, Investitionen, Produktivität, Wirtschaftswachstum, nachhaltiges Investieren, Beschäftigung können sich Sorgen machen...

Egal, ob es sich um eine Einzelperson oder um ein börsennotiertes Unternehmen handelt, ist ein Happy End für die Gesellschaft schwer vorstellbar, wenn man nicht mehr an seinem Handeln gemessen wird...

 

„Whenever you find yourself on the side of the majority, it is time to pause and reflect.”        Mark Twain

Wer nur auf die Performance der passiven Produkte sieht und das auch nur für einen begrenzten Zeitraum, wer daraus Schlussfolgerungen zieht und sie für die wahre Lösung hält, nimmt eine deterministische Haltung ein, denn er stützt sich auf eine einzige Beobachtung.

Anders gesagt: Wenn man es vielleicht einmal geschafft hat, mit verbundenen Augen eine zehnspurige Autobahn zu überqueren, ohne überfahren worden zu sein, heißt das wirklich, dies wäre eine bessere Idee als die etwas weiter entfernte Brücke zu benutzen?

Eine andere Sichtweise, und zwar jene, dass es immer sinnvoller ist, mit langfristiger Perspektive in Unternehmen zu investieren, die eine hohe Qualität haben und die unter ihrem inneren Wert gehandelt werden, scheint uns bei BLI vernünftiger.

Im Übrigen: Je höher der Anteil passiver gegenüber aktiver Anleger, desto weniger werden Anlageentscheidungen reflektiert, rational und auf Basis von Fundamentaldaten getroffen.

Hierdurch vergrößert sich der Graben zwischen Fundamentaldaten und Bewertungsniveaus, und dies bietet wiederum umso größere Chancen für eine gezielte Aktienauswahl...

 

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[1] https://www.ft.com/content/53054716-e6e9-11e6-893c-082c54a7f539

[2] https://www.ft.com/content/f406d50c-bbcf-11e6-8b45-b8b81dd5d080

[3] Hidden Power of the Big Three? Passive index funds, re-concentration of corporate ownership, and new financial risk. Fichtner, Heemskerk und Garcia-Bernardo, April 2017

[4] https://www.wsj.com/articles/the-new-corporate-power-brokers-passive-investors-1477320101

Jérémie Fastnacht

Jérémie Fastnacht, Fund Manager

Jérémie Fastnacht ist seit 2017 Hauptmanager des Fonds BL-Equities Dividend. Er verfügt über einen Master-Abschluss in Finanzen der Université Paris-Dauphine, den er mit einem Master in Finanzmärkten der SKEMA Business School / North Carolina State University ergänzte. Seine berufliche Karriere startete Jérémie als Fondsmanager bei BCEE Asset Management, bevor er im September 2014 als Aktienanalyst und Portfoliomanager zur Banque de Luxembourg wechselte.

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