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Griechenland

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Im Zuge der aktuellen Entwicklungen in Griechenland tritt derzeit jene Heterogenität der Eurozone zu Tage, auf die zahlreiche Volkswirte bereits bei der Einführung des Euro hingewiesen haben, und die durch das günstige Wirtschaftsumfeld der Jahre 2000 bis 2008 erfolgreich verschleiert wurde.

Da die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank vor allem an der Wirtschaftslage der großen Mitgliedstaaten, sprich Deutschland und Frankreich, ausgerichtet ist, bescherte die Euro-Mitgliedschaft den Ländern Südeuropas ein Zinsniveau, das deutlich unter dem Niveau der Vor-Euro-Ära liegt. Allerdings haben die Regierungen dieses Niedrigzinsumfeld nicht zum Schuldenabbau genutzt – Griechenland beispielsweise wies weiterhin ein jährliches Haushaltsdefizit von über 5% aus, und dies obwohl das Wirtschaftswachstum des Landes deutlich über dem Durchschnittswert der Eurozone lag (wobei Athen das Haushaltsdefizit für 2009 gerade von 6% auf 13% korrigiert hat, die Frage nach der Zuverlässigkeit griechischer Statistiken drängt sich auf).

Das niedrige Zinsniveau führte gleichzeitig zu einem Überkonsum und begünstigte das Entstehen von Spekulationsblasen (Kredite, Immobilien, usw.). Zusammen mit der ungünstigen Lohnkostenentwicklung – zwischen 2000 und 2007 stiegen die Lohnstückkosten (Lohnkostenentwicklung in Relation zur Produktivitätsentwicklung) in Italien, Spanien, Griechenland und Portugal um rund 20% an, während sie in Deutschland im gleichen Zeitraum stagnierten – führte der Überkonsum in den einzelnen Ländern zu einem stetig steigenden Außenhandelsdefizit. In Griechenland entsprach diese Defizit 2008 15% des Bruttoinlandsprodukts. Innerhalb des vom World Economic Forum veröffentlichten Index zur Wettbewerbsfähigkeit nimmt Griechenland mittlerweile den 71. Platz ein und rangiert damit u.a. hinter Botswana. Ein wesentlicher Schwachpunkt des Euro liegt in der Tatsache, dass die im Vertrag von Maastricht festgelegten Konvergenzkriterien weder die Entwicklung der Lohnkosten noch die der Handelsbilanz umfassen. Und im Gegensatz zu den USA und ihren Bundesstaaten besteht in der Eurozone kein automatischer Transfermechanismus zwischen den einzelnen Ländern.

Südeuropa befindet sich daher aktuell in einer gefährlichen Situation. Infolge der beträchtlichen Außenhandelsdefizite steigt die Verschuldung gegenüber dem Ausland (1). Erhöht sich der Quotient von Auslandsschulden zu Bruttoinlandsprodukt weiter, werden sich ausländische Investoren irgendwann nur noch gegen eine höhere Verzinsung zur Finanzierung dieser Länder bereitfinden, was wiederum eine Verteuerung des Schuldendienstes und damit einen Teufelskreis auslöst. Genau dies passiert derzeit in Griechenland.

In der Vergangenheit hätte Athen in diesem Fall einfach die nationale Währung abgewertet und die Notenpresse angeworfen. Aufgrund der Mitgliedschaft in der Eurozone gehört diese Option jedoch der Geschichte an. Gleichzeitig leidet der wichtigste Industriezweig des Landes, der Tourismus, erheblich unter dem starken Euro: Seit Anfang 2006 hat die europäische Gemeinschaftswährung gegenüber der türkischen Lira 40% zugelegt, und während die Tourismuseinnahmen der Türkei 2008 stiegen, verzeichnete Griechenland einen Rückgang.

Griechenlands Situation ist nicht völlig ausweglos, denn das Land kann grundsätzlich auf die Hilfe der anderen Euroländer zählen. Über ein Privatisierungsprogramm könnte die Regierung die Staatsverschuldung reduzieren. In einem Land, in dem der Schwarzmarkt schätzungsweise ein Volumen von etwa 25% des Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet, würde auch eine effizientere Steuereintreibung einen nicht unerheblichen Beitrag zum Abbau des Haushaltsdefizits leisten. Und dennoch – will man die Probleme Griechenlands nachhaltig lösen, so führt kein Weg an drastischen Sparmaßnahmen vorbei, welche zumindest kurzfristig zu einer Senkung des Lebensstandards führen würden. In der Praxis scheint weder die Regierung noch die Bevölkerung zu solchen Maßnahmen bereit.

Die dargestellten Ungleichgewichte sind nichts Neues, und der Euro konnte sich auf den Devisenmärkten trotzdem als wichtigste Alternative zum US-Dollar etablieren. Seit seiner Einführung haben sich diese Unterschiede jedoch weiter verschärft. Sollte es nicht zu einer deutlichen Konjunkturerholung kommen, könnten sie zu einem Prüfstein für die Kohäsion der Eurozone werden. Denn nicht umsonst haben in der Vergangenheit nur wenige Währungsunionen überlebt.

Welche Auswirkungen ergeben sich aus den Entwicklungen in Griechenland für die Finanzmärkte? In einem Umfeld in dem die Mehrheit der Investoren von einer weiteren Abwertung des US-Dollar ausgeht, zeigen die Ereignisse zunächst, dass an den Devisenmärkten alles relativ und auch der Euro nicht vor Problemen gefeit ist. Da derzeit eine inverse Korrelation zwischen dem US-Dollar und den Börsen besteht (bei steigenden Märkten sinkt die US-Währung und umgekehrt), würde eine Erholung des Greenbacks möglicherweise eine Korrektur an den Aktienmärkten auslösen. Die Tatsache, dass zahlreiche Anleger mittlerweile den Dollar anstelle des Yen als Finanzierungswährung einsetzen („Carry Trades"), spricht ebenfalls für dieses Szenario. Ausserdem ist mit einer erneuten Zunahme der Risikoaversion am Markt zu rechnen, die 2008 zunächst rapide anstieg und seit März 2009 wieder deutlich gesunken ist. Schlussendlich beweist der Fall Griechenlands, dass ein permanent wachsender Finanzierungsbedarf der Staaten von den Rentenmärkten nicht unbegrenzt hingenommen wird.

(1) Das Handelsbilanzdefizit eines Landes beziffert das Missverhältnis zwischen den Ersparnissen eines Landes und seinen Investitionen. Die Volkswirtschaft unterscheidet zwischen Defiziten, die aus besonders hohen Investitionen resultieren, und solchen, die durch eine sinkende Sparquote bedingt sind. 
Im ersten Fall wird über ausländisches Kapital der Ausbau der Produktionsmittel finanziert, was dem Land längerfristig höhere Einnahmen und eine Verminderung der Schulden gegenüber dem Ausland ermöglichen dürfte, ohne Einbußen beim Lebensstandard hinnehmen zu müssen. Im zweiten Fall (dieser trifft auf Südeuropa zu) finanziert das ausländische Kapital lediglich einen Überkonsum, und der Quotient aus Auslandsschulden und Bruttoinlandsprodukt steigt in besorgniserregende Höhen (wobei im Vorfeld nicht bekannt ist, ab welchem Niveau dieser Quotient nicht mehr tragbar ist). Die jeweiligen Länder müssen ihre Konsumgewohnheiten ändern und ihren Lebensstandard zurückschrauben.

Guy Wagner, Chief Investment Officer

Guy Wagner stammt aus einer Unternehmerfamilie in Luxemburg und besitzt einen Abschluss in Wirtschaftswissenschaften der Université Libre Brüssel. Er trat 1986 in die Banque de Luxembourg ein, wo er zunächst die Abteilungen Finanzanalyse und Asset Management leitete, bevor er 2005 zum Geschäftsführer von BLI - Banque de Luxembourg Investments, einer neu gegründeten Verwaltungsgesellschaft, ernannt wurde.

Seit Juli 2022 widmet er sich ausschließlich seiner Rolle als Chief Investment Officer, dem Portfoliomanagement und der Leitung des Teams, das für die Verwaltung der verschiedenen Fonds verantwortlich ist.

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