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Anleihemanagement in Zeiten steigender Zinsen

Vor einigen Jahren berichteten wir davon, wie uns ein extremes Niedrigzinsumfeld veranlasste, die Art unseres Portfoliomanagements anzupassen. Dieses Umfeld war seinerzeit durch die Interventionen der Zentralbanken im Anschluss an die große Finanzkrise von 2008 und die darauf folgende Schuldenkrise in Europa entstanden und führte dazu, dass die Regeln für das Anleihemanagement neu geschrieben wurden. Uns veranlasste es, unser Management durch zusätzliche Elemente der Wirtschafts- und Finanztheorie zu ergänzen.

2020: Verspätete Normalisierung

In früheren Jahren waren wir davon ausgegangen, dass sich die Anleihemärkte wieder normalisieren würden. Im März 2020 kam es jedoch zu einem Ereignis, das diese Normalisierung in weite Ferne rückte: die Coronapandemie, die die Zentralbanken zu Interventionen zwang.

Angesichts einer weltweiten Pandemie von Ausmaßen, wie es sie seit der Spanischen Grippe von 1918 nicht mehr gegeben hatte, ergriffen die meisten Zentralbanken Maßnahmen, um die Finanzmärkte weltweit zu stützen: Diese betrafen Staatsanleihen im Euroraum ebenso wie Unternehmensanleihen in den USA.

Sehr schnell zeichnete sich ein historischer Börsencrash am Horizont ab. In den vier Wochen zwischen dem 19. Februar und dem 23. März 2020 verlor der S&P 500 ganze 34 %, und auch die Rendite der zehnjährigen US-Staatsanleihen stieg in den ersten Märztagen heftig, nachdem sie zuvor kurzzeitig gefallen war. Angesichts dessen mussten die Europäische Zentralbank (EZB) und vor allem die US-Notenbank (Fed) schließlich massiv eingreifen. Die EZB tat dies unter anderem durch das Pandemic Emergency Purchase Programme (PEPP), die Fed durch das Main Street Lending Program (MSLP) zur Unterstützung von kleinen und mittleren US-Unternehmen.

Von diesen Maßnahmenpaketen („quantitative Lockerung“) profitierten alle Finanzaktiva und legten stark zu.

2021 bis 2022: Unvermeidliche Rückkehr der Inflation

Nun wurden jedoch erneut Anzeichen einer Inflation erkennbar. Der Teuerungsdruck hatte bereits 2018 geschwelt und seinerzeit zu einer ersten geldpolitischen Straffung geführt, sich dann aber während der Pandemie wieder gelegt. Dieses Wiederaufflammen der Inflation in vielen Volkswirtschaften war nicht nur die Folge eines Angebotsschocks, sondern auch und vor allem das Ergebnis der extrem expansiven Geldpolitik der Zentralbanken sowie der öffentlichen Konjunkturprogramme.

Inflation in den USA (Verbraucherpreisindex)


Quelle: Bloomberg

Damit waren alle Zutaten für die Rückkehr der Inflation vorhanden:

1. Die Lockdowns und die Null-Covid-Politik, die China noch bis weit ins Jahr 2022 betrieb, bewirkten einen Einbruch der Produktionskapazitäten und eine massive Störung der Lieferketten. Dies wiederum führte zu einem heftigen Angebotsschock, mithin zu steigenden Preisen und kurzfristigen Produktionsrückgängen.

2. Das Geldmengenwachstum beschleunigte sich. Dessen Wirkung auf die Inflation beschreibt Milton Friedman u. a. in seinen Arbeiten zur Geldmengentheorie [1].  

Bilanzvolumen der Federal Reserve in Mio. USD


Quelle: Bloomberg

Geldmengenwachstum (M2) in den USA (in Mrd. USD)


Quelle: Bloomberg

3. Anstieg der Staatsausgaben: Die Pandemie hat nun auch die überzeugtesten Anhänger der Sparpolitik von der Notwendigkeit überzeugt, die Wirtschaftstätigkeit mit öffentlichen Ausgaben soweit wie möglich aufrechtzuerhalten. In den USA, in Europa und in vielen anderen Ländern stiegen die staatlichen Ausgaben auf nie dagewesene Niveaus und ließen die Verschuldung dieser Länder in die Höhe schnellen. Die steigende Verschuldung wiederum führte dazu, dass sich die Solvabilität der Staaten verschlechterte, da gleichzeitig die Konjunktur an Fahrt verlor.

Staatliche Konjunkturmaßnahmen ausgewählter Länder während der Pandemie (Schätzung; (Abweichung vom beobachteten Budget))


Quelle: François de Soyres, Ana Maria Santacreu und Henry Young, “Fiscal policy and excess inflation during Covid-19: a cross-country view”, Federal Reserve [2] - 15. Juli 2022

4. Der Ukraine-Krieg ist ein weiterer Faktor, der die Inflation begünstigt und den Angebotsschock für Rohstoffe wie Düngemittel, Getreide, Öle und – indirekt – Erdöl, Kohle und Gas verschärft.

5. Der Arbeitsmarkt fördert den Inflationstrend ebenfalls. Früher wurde der Zusammenhang zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit zeitweise in Frage gestellt [3]. Dass ein starker Arbeitsmarkt einer der Gründe für anhaltenden Teuerungsdruck ist, ist heute jedoch unbestritten.

Entwicklung der US-Leitzinsen (Fed Funds Rate)


Quelle: Bloomberg

Volatile Märkte

Angesichts der volatilen Märkte, in denen es für Anlegerinnen und Anlegern keine sicheren Anlagehäfen mehr gibt, angesichts der beispiellosen Interventionen von Regierungen und Notenbanken und angesichts der Pandemiekrise, die von einer geopolitischen Krise (Ukraine-Krieg) abgelöst wurde, gilt für uns heute mehr denn je. Der Portfolioaufbau erfordert starke Überzeugungen. Schon früher, als die modifizierte Duration (Sensibilität) der Indizes auf historischen Höchstständen lag, haben wir betont, dass die fortlaufende Orientierung am Index (Benchmarking) nicht sinnvoll ist und dass Fondsmanager den Märkten und ihren Indizes nicht blind folgen sollten. Allein unter Zuhilfenahme technischer Kriterien (wie z. B. Momentum oder Zinsfluktuation um gleitende Durchschnittswerte) ist ein sinnvolles Management von Anleiheportfolios nicht möglich.

Entwicklung der Renditen zehnjährigen Staatsanleihen in Deutschland und den USA


Quelle: Bloomberg

Der Inflationsdruck und die geldpolitische Kurswende der Zentralbanken haben das Umfeld für Anleihemanagement in jüngerer Vergangenheit stark verändert. Die beste Art, an den Anleihemärkten zu investieren – davon sind wir weiterhin überzeugt – ist ein aktiver und selektiver Ansatz, der sich völlig frei macht von den Vorgaben eines Index.

Folglich ist es zwingend erforderlich, noch mehr Gewicht auf die Kreditanalyse zu legen. Sie erlaubt eine qualifizierte Differenzierung zwischen verschiedenen Emittenten je nach Qualität und spezifischen Besonderheiten. Ein solcher Ansatz erfordert, dass man sich von der indexorientierten Logik freimacht und das Denken in starren Kategorien überwindet, insbesondere das Denken in Marktsegmenten. Im Anleihemanagement wird es immer wichtiger zu unterscheiden zwischen Investment-Grade- und High-Yield-Anleihen, zwischen Staats- und Unternehmensanleihen, zwischen erstrangigen und nachrangigen Anleihen – und eben nicht in den traditionellen „Schubladen“ der jeweiligen Märkte zu verharren. Mit einem solchen Ansatz

Marktsegmente als Puffer nutzen

In den vergangenen 36, 24 und zwölf Monaten waren die meisten – um nicht zu sagen: alle – Anlageklassen positiv (oder bestenfalls nicht) miteinander korreliert: Aktien aus dem S&P 500 und High-Yield-Anleihen, Unternehmensanleihen mit Investment Grade und Schwellenländer-Anleihen, europäische Aktien etc.

Korrelation der Märkte Dezember 2019 bis Dezember 2020


Quelle: Bloomberg

Da die Anlageklassen zurzeit besonders stark korreliert sind, ist es umso wichtiger, beim Portfolioaufbau starke Überzeugungen zu verfolgen.

Die Kreditanalyse (d. h. die Analyse der jeweiligen Emittenten), die die öffentlichen Finanzen und die Emittentenrisiken eines Landes bzw. die Bilanzen eines Unternehmens untersucht, ist daher ein zentrales Element, um im Anlageuniversum robuste Segmente zu finden.

Um Wert für das Portfolio zu generieren, stehen im Anleihemanagement drei potenzielle Performancetreiber zur Verfügung: i) die Duration, ii) das Kreditdifferenzial (Spread) und iii) die Währung. Da die Zinsen gestiegen sind, erscheint uns wichtig, das Durationsrisiko im Portfolio zu begrenzen und unsere Anlagen auf die Achsen Spread und Währungen zu konzentrieren.

In der jüngeren Vergangenheit konnten zum Beispiel Hochzinsanleihen von Unternehmen aus Industriestaaten die erwartete Rendite optimieren, ohne jedoch das Durationsrisiko zu erhöhen. Durch von Überzeugungen geleitetes Management ist es möglich, solche Segmente aktiv zu nutzen. Bei staatlichen Emittenten lässt sich durch die Analyse der Wirtschaftskennzahlen ermitteln, die Währungen welcher Staaten Aufwärtspotenzial besitzen. In beiden genannten Fällen verbessert der Zinsspread das Renditepotenzial des Portfolios.

Beispiele für straffe Geldpolitik und technische Aspekte einer Anlageklasse

Nehmen wir als Beispiel die Geldpolitik in den Schwellenländern. Allgemein lässt sich für 2020 bis 2022 sagen, dass diejenigen Länder, die ihre Geldpolitik strafften, den Anstieg ihrer Defizite begrenzten und am Aufschwung nach der Pandemie partizipieren konnten, gleichzeitig auch davon profitierten, dass ihre Währungen Kapitalzuflüsse und relative Stabilität erlebten.

Dies galt insbesondere für Mexiko. Um die eigene Währung zu schützen und dem Inflationsdruck frühzeitig zu begegnen, ergriff die Regierung präventive Straffungsmaßnahmen – noch vor der EZB oder der Fed. Diese Maßnahmen und die staatliche Sparpolitik kamen dem Mexikanischen Peso zugute, folglich eignete er sich zur Diversifizierung und Stabilisierung eines Anleiheportfolios.

Entwicklung der Leitzinsen in Mexiko


Quelle: Bloomberg

Die relative Attraktivität des Mexikanischen Peso im Vergleich zum Kolumbianischen Peso spiegelt sich auch in den verbesserten Staatsfinanzen (gestiegene Leistungsbilanz, Kontrolle der Staatsausgaben und der Verschuldung) wider.

Vergleich: Ausgewählte Wirtschaftsindikatoren in Mexiko (MX) und Kolumbien (CO)


Quelle: Bloomberg

Entwicklung der Wechselkurse von MXN und COP (zu USD)


Quelle: Bloomberg

Ein anderes Beispiel sind Hochzinsanleihen (High Yield): In diesem Segment besitzt eine Emission mit kurzer Laufzeit und hoher Rendite schon allein aus technischen Gründen eine geringere Sensibilität gegenüber dem Zinsänderungsrisiko.

In einer Zeit, in der Staatsanleihen der Euro-Kernzone aufgrund der Null- oder Negativverzinsung zur riskanten Anlage werden und eine historisch hohe Sensibilität besitzen (modifizierte Duration von +/- 9), können ausgewählte Emittenten aus dem High-Yield-Bereich mit relativ hohen Renditen und kurzen Laufzeiten dazu beitragen, die Volatilität eines Portfolios zu senken.

Relative Performance von High-Yield-Emissionen im Vergleich zu Staatsanleihen der Eurozone


Quelle: Bloomberg

Fazit

Die Inflation bleibt „Staatsfeind Nr. 1“ für die Märkte. Die Notenbanken machen die Inflationsbekämpfung zu ihrer obersten Priorität. Die Spekulationen, wann für die Federal Reserve und für die EZB ein Wendepunkt in der Geldpolitik erreicht sein wird, werden anhalten. Dieser Zeitpunkt wird davon abhängen, wann sich die Inflation stabilisiert bzw. zurückgeht. Die Inflation sollte auf die Zielmarke von 2 % zulaufen.

Zum Wesen einer Anleihe gehört nicht nur, dass sie zu Laufzeitende fällig wird, sondern auch, dass sie regelmäßige Zinsen erzielt. Durch die Auswahl von Emittenten mit soliden Solvabilitätskriterien und ausreichender Liquidität lässt sich im Anleihemanagement unabhängig vom wirtschaftlichen Umfeld und vom Markttrend eine robuste Performance erzielen, die bis zu einem gewissem Maße unabhängig ist von Konjunkturzyklen und der (bisweilen höchst erratisch verlaufenden) Marktentwicklung.

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[1] Der Zusammenhang von Geldmengenwachstum und Inflation lässt sich in der sogenannten Quantitätsgleichung M*V = P*Y fassen. Dabei steht M für die umlaufende Geldmenge, V für die Umlaufgeschwindigkeit, P für das Preisniveau und Y für das Handelsvolumen. Die Monetaristen unter den Ökonomen gehen davon aus, dass die Ursache für den Anstieg des Preisniveaus im Geldmengenwachstum liegt, dass die Inflation also ein monetäres Problem ist. Für Friedman muss die Bekämpfung der Inflation, dem „Staatsfeind Nr. 1“ (US-Präsident Gerald Ford 1974) zwangsläufig über eine Verringerung der Geldmenge und die Erhöhung der Zinssätze erfolgen.

[2] Abweichung der tatsächlichen Staatsausgaben für 2020 gegenüber dem zuvor prognostizierten Wert (in %). Die erwarteten Ausgaben sind die Fortschreibung des durchschnittlichen Ausgabenwachstums von 2015–2019 um ein Jahr.

[3] Die Phillips-Kurve beschreibt den Zusammenhang zwischen Inflation und Arbeitsmarkt. Sie besagt, dass eine höhere Inflationsrate mit einer niedrigeren Arbeitslosenquote einhergeht – und umgekehrt.

 

 

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Jean-Philippe Donge, Head of Fixed Income

Nach Abschluss seines Studiums als Wirtschaftsingenieur an der belgischen Louvain School of Management führte Jean-Philippes Weg nach Finanzzentrum Luxemburg. Er kam 2001 zur Abteilung Asset Management der Banque de Luxembourg. Nach dreijähriger Tätigkeit in den Bereichen Analyse und Research ist Jean-Philippe auf die Übernahme eines Fonds vorbereitet: 2003 übernahm er das Management einiger Rentenfonds der Sicav BL, darunter den mehrfach ausgezeichneten BL-Global Bond, der mehrfach prämiert wurde, unter anderem als bester europäischer Rentenfonds in Euro.