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Das Dilemma eines Portfoliomanagers

Über die ersten neun Monate des Jahres ist der Weltaktienindex (MSCI World) in Euro um rund 12 % gestiegen und hat damit einen Großteil seines Rückgangs von 2022 wieder wettgemacht. Diese gute Entwicklung der Aktienmärkte mag erstaunlich erscheinen. Viele Fondsmanager geben zu, dass sie, wenn man ihnen Anfang 2022 gesagt hätte, dass die US-Notenbank ihren Leitzins um mehr als 5 % erhöhen würde, geantwortet hätten, dass die Börsenkurse abstürzen würden. Zumal Ende 2021 das Bewertungsniveau der Aktienmärkte hoch war. Nun erholten sich die Märkte nach ihrer Korrektur 2022 also schnell und befinden sich heute in der Nähe ihrer historischen Höchststände. Wie lässt sich das erklären?

Eine erste Antwort liegt in der Widerstandsfähigkeit, die die Weltkonjunktur bislang bewiesen hat. Zwar ist in einigen Regionen und Sektoren eine deutliche Verlangsamung zu beobachten, doch die US-Wirtschaft, die für die Finanzmärkte bei weitem am wichtigsten ist (sowohl in wirtschaftlicher Hinsicht als auch in Bezug auf die Stimmung der Anleger), ist bislang von einer Rezession verschont geblieben. Ebenso verzeichnete der Dienstleistungssektor in den meisten Regionen weiterhin ein positives Wachstum und profitierte von dem, was manche als YOLO-Effekt (You Only Live Once) bezeichnen, der durch die Pandemie entstanden ist und die Menschen zum Reisen oder Restaurantbesuchen animiert. Es ist jedoch nicht sicher, ob diese Resilienz von Dauer sein wird. Die Geschichte zeigt, dass zwischen dem Beginn einer geldpolitischen Straffung und dem Zeitpunkt, an dem sich diese Straffung wirklich auf die Wirtschaftstätigkeit auswirkt, normalerweise eine Zeitspanne von etwa 18 Monaten liegt, manchmal mehr, manchmal weniger. Wir leben in einer Welt, in der alles schnell gehen muss. Es ist daher logisch, dass viele Marktteilnehmer zu dem Schluss gekommen sind, dass die Rezession, da sie noch nicht eingetreten ist, auch nie eintreten wird. Die Realität sieht jedoch so aus, dass die meisten Wirtschaftsindikatoren einen recht klassischen Verlauf zeigen: zuerst Schwäche in den Sektoren, die direkt von den Zinserhöhungen betroffen sind, dann Schwäche im verarbeitenden Gewerbe und erst danach Auswirkungen auf den Dienstleistungssektor. Was den Arbeitsmarkt betrifft, so ist er ein nachlaufender Indikator, d. h. er spiegelt die vergangene Leistung der Wirtschaft wider. Die Arbeitslosenquote ist in der Regel am niedrigsten, wenn eine Rezession beginnt.

Weniger wichtige Fundamentaldaten?

Ein zweites Element, das die gute Verfassung der Aktienmärkte erklärt, könnte darin liegen, dass die Faktoren, die historisch gesehen die Entwicklung der Aktienmärkte bestimmen, nämlich die Unternehmensergebnisse und die Bewertungsniveaus, zumindest vorübergehend an Bedeutung verloren haben. Was die Unternehmensgewinne angeht, scheinen sich die Anleger um jeden Preis auf eine positive Interpretation der Dinge konzentrieren zu wollen, indem sie die Vergleiche und Zahlen verwenden, die ihnen am besten passen - Quartals-, Jahres-, Analystenschätzungen usw. Tatsache ist jedoch, dass zum Beispiel die Unternehmensgewinne im S&P 500 im zweiten Quartal im Vergleich zum zweiten Quartal des Vorjahres um etwa 5 % zurückgegangen sind. Eine deutliche Verlangsamung des Gewinnwachstums ist insbesondere auch im Technologiesektor zu beobachten. Der Markt bewertet die großen Unternehmen dieses Sektors jedoch weiterhin so, als würden sie noch immer das gleiche Wachstum wie in der Vergangenheit verzeichnen. Das Aufkommen der Künstlichen Intelligenz spielt dabei eine wichtige Rolle. Generell lieben die Anleger Themen, die ihre Fantasie anregen und in die sie unendliche Möglichkeiten und hohe Wachstumsraten projizieren können.

Die Bewertungsniveaus sind trotz der anhaltenden geldpolitischen Straffung der Zentralbanken erneut gestiegen. Dieser Anstieg der Bewertungen erklärt übrigens den weitaus größten Teil des Anstiegs der Aktienkurse seit Oktober 2022. In vielen Fällen liegen die Bewertungen heute wieder weit über dem historischen Durchschnitt. Während hohe Bewertungen noch vor 18 Monaten mit dem, was manche als TINA (There Is No Alternative) bezeichneten, gerechtfertigt werden konnten, da festverzinsliche Anlagen nur geringe oder gar keine Renditen abwarfen, stehen den Anlegern heute eindeutig Alternativen zur Verfügung. Allerdings haben hohe Bewertungen noch nie ausgereicht, um die Märkte nach unten zu drücken. Sie verstärken den Abwärtstrend nur, wenn er erst einmal in Gang gekommen ist. Sie spielen daher eine entscheidende Rolle für die langfristige Rendite der Märkte, nicht aber für ihre kurzfristige Rendite.

Warum haben die Fundamentaldaten offenbar an Bedeutung verloren? Zunächst einmal ist da die Begeisterung für passives Anlegen. In einem Umfeld, das zunehmend von einem passiven Ansatz dominiert wird, wird die Bewertung von Unternehmen zweitrangig. Im Gegenteil: Je höher ihre Bewertung wird, desto höher wird auch ihr Gewicht in bestimmten Indizes. So erhalten sie einen immer größeren Anteil von jedem US-Dollar oder Euro, der in diese Indizes investiert wird, während das Gegenteil natürlich für Unternehmen gilt, deren Kurs und Bewertung sinken. Während ein aktiver Manager versucht, eine niedrige Bewertung zu nutzen, um die Wertpapiere eines Unternehmens zu erwerben, ist es bei der passiven Verwaltung genau umgekehrt: Steigende Kurse führen zu steigenden Kursen, fallende Kurse führen zu fallenden Kursen. Dann gibt es noch die Tatsache, dass Anleger gerne in ihrer Komfortzone bleiben und Vermögenswerte halten, mit denen sie sich wohlfühlen. Und die Vermögenswerte, mit denen sie sich wohlfühlen, sind normalerweise diejenigen, die sich in der jüngsten Vergangenheit gut entwickelt haben. Die Vermögenswerte, die sich seit der Finanzkrise von 2008 am besten entwickelt haben, sind zweifellos US-amerikanische Aktien, allen voran Technologiewerte. Diese profitieren daher sowohl von ihrer guten Performance in den vergangenen Jahren als auch ihrer Fähigkeit, die Fantasie der Anleger zu beflügeln. Ungeachtet des Anstiegs der Zinssätze in den USA und der Renditen, die festverzinsliche Anlagen heute bieten, fällt es vielen Anlegern daher schwer, sich von ihnen zu trennen. Ein letztes Akronym erklärt ihr Verhalten: FOMO (Fear Of Missing Out), die Angst, nicht an einem möglichen weiteren Anstieg dieser Wertpapiere teilzuhaben. Dies gilt umso mehr, als ein Großteil dieser Anleger noch nie eine Rezession oder einen längeren Bärenmarkt erlebt hat. Umgekehrt hat ein Markt wie Japan, dessen Höchststand auf die frühen 1990er-Jahre zurückgeht, große Schwierigkeiten, dauerhaft Kapital anzuziehen, obwohl seine Fundamentaldaten und sein Bewertungsniveau attraktiv erscheinen. Während die Anleger bereit sind, dem US-Markt einen Vertrauensvorschuss zu gewähren, werden sie den japanischen Markt beim ersten Anzeichen eines möglichen Problems verkaufen.

Entwicklung des S&P500 Index zwischen 1966 und 1982

Quelle: Bloomberg

Jede Generation von Anlegern wächst in einem bestimmten Regime auf, das sie schließlich irgendwie verinnerlicht und als Referenz verwendet. Ein Anleger, der seine Karriere Mitte der 1960er-Jahre begonnen hat, hat fast 20 Jahre lang einen US-Markt erlebt, der im Wesentlichen auf der Stelle trat, allerdings mit erheblichen Schwankungen (1982 stand der S&P 500 Index fast auf demselben Stand wie 1965). Im Laufe der Zeit wird er daher auf eine Strategie konditioniert worden sein, die darin besteht, den Markt nach einem Aufwärtstrend zu verkaufen und ihn nach einem Abwärtstrend eventuell zu kaufen. Der Gedanke, dass Aktien langfristig die beste Anlageform sein könnten, wäre ihm fremd gewesen. So veröffentlichte die Zeitschrift BusinessWeek 1979 einen Artikel mit dem Titel "The death of equities" zu einem Zeitpunkt, als die Bewertung des amerikanischen Marktes nahe einem historischen Tiefstand war. Die Behauptung, dass der Markt weit unter seinem historischen Durchschnitt gehandelt wurde, interessierte kaum jemanden. 40 Jahre später schwört eine Generation von Anlegern, die einen spektakulären Anstieg der Indizes erlebt haben, der nur von kurzen Rückschlägen unterbrochen wurde, auf Aktien, obwohl deren Bewertungsniveaus weit über dem historischen Durchschnitt liegen. Old habits die hard.

Rückkehr zu einem Umfeld mit niedrigen Zinsen?

Ein drittes Element, das die Widerstandsfähigkeit der Märkte erklärt, ist die Tatsache, dass viele Anleger weiterhin implizit davon ausgehen, dass die Zinssätze nicht auf dem derzeitigen Niveau bleiben werden und dass insbesondere die Federal Reserve bald eine Lockerung ihrer Geldpolitik vornehmen wird. Die Idee dahinter ist, dass die Verschuldung und der Finanzierungsbedarf so hoch sind, dass dauerhaft hohe reale Zinssätze ein großes Problem darstellen würden. Auch wenn dieses Argument logisch erscheint, zeigen die jüngsten Äußerungen der Federal Reserve, dass sie eindeutig beabsichtigt, die Zinsen für einen längeren Zeitraum auf dem derzeitigen Niveau zu halten oder sogar noch weiter zu erhöhen. Es müsste schon eine deutliche Verlangsamung der Wirtschaftstätigkeit und/oder ein größerer Finanzunfall eintreten, um sie von ihrer Meinung abzubringen. Beides wäre nicht gut für die Aktienmärkte.

Schließlich ist zu betonen, dass in vielen Fällen der Indexanstieg nicht repräsentativ für das Verhalten des Marktes insgesamt ist. In den USA beispielsweise wird der S&P 500-Index von einer begrenzten Anzahl von Werten nach oben getrieben, zu denen insbesondere die großen Technologiewerte gehören, denen das Thema Künstliche Intelligenz neuen Schwung verliehen hat. Wir sind also an einem Punkt angelangt, an dem 1,5 % der Unternehmen im S&P 500 (sieben von 500) fast 30 % dieses Index ausmachen. In den ersten neun Monaten des Jahres stieg der S&P 500-Index um fast 12 %, während der gleichgewichtete S&P 500-Index (der jedem der 500 Werte das gleiche Gewicht beimisst) unverändert blieb.

S&P 500 und gleichgewichteter S&P 500 in den ersten neun Monaten des Jahres

Quelle: Bloomberg

In mancherlei Hinsicht erinnert die aktuelle Situation an die Situation 1999. Die Aktienmärkte steigen, obwohl die Zinssätze steigen, der Ölpreis wieder ansteigt und der US-Dollar an Wert gewinnt. Die Indizes werden von einer begrenzten Anzahl von Aktien, die größtenteils aus dem Technologiesektor stammen, nach oben getrieben. 1999 war das allgegenwärtige Thema das Internet und das emblematische Unternehmen Cisco Systems. 2023 sind es die Künstliche Intelligenz und NVIDIA. 1999 stieg der Kurs von Cisco um mehr als 100 %, während der Kurs von Nestlé sank. 2023 ist der Kurs von NVIDIA um fast 200 % gestiegen, während der Kurs von Nestlé gesunken ist. Der Kurs von Cisco ist bisher immer noch nicht über den Stand von März 2000 hinausgekommen (obwohl die Gewinne des Unternehmens stark gestiegen sind). Der von Nestlé ist von 30 CHF auf 103 CHF gestiegen.

Welche Strategie sollte man in einem solchen Umfeld verfolgen? Das Spiel der relativen Performance spielen, indem man teure, aber in der Gunst der Anleger stehende Titel kauft, mit dem Risiko, nicht rechtzeitig auszusteigen? Die Fundamentaldaten respektieren und versuchen, vernachlässigte Vermögenswerte zu finden, die attraktiv bewertet sind, jedoch mit dem Risiko, dass sie weiterhin eine unterdurchschnittliche Wertentwicklung aufweisen? Ein Manager, der sich für die erste Strategie entscheidet, riskiert, dass seine Kunden viel Geld verlieren. Ein Manager, der sich für die zweite Strategie entscheidet, riskiert, keine Kunden mehr zu haben, wenn die Märkte ihm endlich Recht geben. Dies ist das ewige Dilemma eines professionellen Vermögensverwalters.

 

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Interessierte Personen müssen sicherstellen, dass sie die mit ihren Anlageentscheidungen verbundenen Risiken verstehen, und von einer Anlage absehen, bis sie zusammen mit ihren eigenen professionellen Beratern die Eignung ihrer Anlage insbesondere in rechtlicher, steuerlicher, bilanzieller Hinsicht und bezüglich ihrer konkreten finanziellen Situation sorgfältig abgewägt und geprüft haben.

Es wird darauf hingewiesen, dass die Wertentwicklung eines Finanzinstruments in der Vergangenheit keine Garantie für die zukünftige Entwicklung ist.

Guy Wagner, Chief Investment Officer

Guy Wagner stammt aus einer Unternehmerfamilie in Luxemburg und besitzt einen Abschluss in Wirtschaftswissenschaften der Université Libre Brüssel. Er trat 1986 in die Banque de Luxembourg ein, wo er zunächst die Abteilungen Finanzanalyse und Asset Management leitete, bevor er 2005 zum Geschäftsführer von BLI - Banque de Luxembourg Investments, einer neu gegründeten Verwaltungsgesellschaft, ernannt wurde.

Seit Juli 2022 widmet er sich ausschließlich seiner Rolle als Chief Investment Officer, dem Portfoliomanagement und der Leitung des Teams, das für die Verwaltung der verschiedenen Fonds verantwortlich ist.

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